Didaktischer Hintergrund: Erzählen im Religionsunterricht

„Erzählt Kindern Geschichten!“ Die zweite Empfehlung von Fulbert Steffensky.

Die Bibel erzählt von Erfahrungen und Beziehungen der Menschen, die sie aus dem Horizont des Glaubens als Glaubenserfahrungen und Gottesbeziehungen deuten.

Erzählen ist eine klassische Methode des Religionsunterrichts, weil sie der narrativen Grundstruktur der Bibel entspricht. Erzählend hat Jesus von Gott gesprochen und von Jesus erzählten Menschen, die im Glauben standen. Durch Erzählen bleibt diese Basis des Christentums auch heute im Religionsunterricht lebendig.

Die Lehrkraft ist sich hierbei ihrer Verantwortung bewusst, dass beim Erzählen biblischer Geschichten stets ihr eigenes Glaubensverständnis durchschimmert. Sie kann jeweils das eigene Selbstverständnis als Erzähler/Erzählerin, der/die die Geschichte konstruiert, kenntlich machen, in dem sie beispielsweise an einer Stelle der Erzählung in der Ich-Form die eigene Person ins Spiel bringt („Ich stelle mir vor, dass die Jünger/Jüngerinnen bereits vorher ... erlebt haben ...“).

Durch Erzählen wird die Glaubens- und Lebenswirklichkeit biblischer Inhalte fassbar/nachvollziehbar gemacht. Der Erzähler/die Erzählerin stellt sich das äußere und innere Erleben der handelnden Personen in einem erzählenden Text vor und formt dann, mit Hilfe seiner/ihrer Fantasie, eine anschauliche Geschichte daraus. Diese Erzählform kann dem Schüler/der Schülerin den Lebensbezug der biblischen Überlieferung aufzeigen und eine religiöse Erfahrung vermitteln; die biblische Geschichte wird mit der Lebenswelt der Kinder in Beziehung gesetzt. Indem die Lehrkraft durch das Erzählen die innere und äußere Gedanken- und Gefühlswelt, die Erfahrungen und Beziehungen der biblischen Personen für Kinder aufschließt, können diese am Erleben der Menschen teilnehmen und entdecken die Gemeinsamkeit in existenziellen menschlichen Grunderfahrungen wie Angst und Trauer, Angenommensein und Freude. Die Kinder werden ermutigt über ihre eigenen Erfahrungen nachzudenken und sie zur Sprache zu bringen.
Auch dadurch können die Kinder Identifikationspunkte in den anschaulichen Erzählungen entdecken und somit biblische Inhalte als immer noch aktuell verstehen.

Wichtig ist, dass die Lehrkraft nicht die Geschichten in ihren Erzählungen auslegt oder eine abschließende Moral formuliert. Die Geschichte allein soll durch die Erzählung für die Kinder so gestaltet und pointiert werden, dass sie sich in das Geschehen hineinfinden, die Geschichte ihre Gefühls- und Gedankenwelt anregt und diese zu einem Stück Wirklichkeit für sie wird.

Im evangelischen Religionsunterricht ist es wichtig, dass eigenen Erfahrungen der Mädchen heute Raum gegeben wird, sie zur Sprache kommen und gedeutet werden. Beim Erzählen nicht nur biblischer Geschichten sollte die Erzählperspektive besonders bedacht werden, da sie den Kindern Zugang und das Nachvollziehen erleichtern kann.

Beim Erzählen allgemein, aber auch beim Erzählen biblischer Geschichten, sollte die Erzählperspektive besonders bedacht werden. Die Erzählperspektive kann den Zugang und das Nachvollziehen erleichtern. Schwerpunktmäßig sollte der Perspektive von Mädchen oder Frauen von damals Raum gegeben werden, um weibliche Erfahrungen gleichberechtigt neben männlich dominierte biblische Geschichten zu stellen. Modellhaft kann mutiges Handeln biblischer Frauen dargestellt und für Mädchen zum Anknüpfungspunkt für eigenes Verhalten und Identifikationsangebot werden (s. Identifikationslernen).
Weiterhin ist für die Grundschule der narrative Ansatz aus der Perspektive von Kindern, Mädchen und Jungen zu erzählen, geeignet um Begegnungen mit Kindern von damals zu fördern, beziehungsstiftendes Lernen zu ermöglichen und die Erfahrungen und deren Deutungen von damals mit eigenen Erfahrungen und deren Deutungen heute zu vernetzen. Identifikationsmöglichkeiten werden geschaffen und zeitlich Fernes kann auf der emotionalen Ebene nah gerückt werden. Andere mögliche Erzählperspektiven aus der Sicht von Tieren (z. B. Maria und Josefs Esel, Noahs Taube) und Dingen (z. B. Sarahs Sandalen, Moses Stab, Josefs Kleid(er), Ruts Umschlagtuch) fördern die Aufmerksamkeit der Kinder und vertiefen das Eintauchen in die biblische Geschichte.

Folgende Formen des Erzählens können, je nach Inhalt und Intention des Textes sowie unter Berücksichtigung der Lerngruppe, ausgewählt werden:

Nacherzählung
In der Nacherzählung bleibt der Erzähler/die Erzählerin nah am ursprünglich beschriebenen Geschehen. Er/sie zeigt u. a. auf, dass die handelnden Personen uns ähnlich sind und dass ihre Gotteserfahrungen für uns heute von Bedeutung sind.

Perspektivische Erzählung
Ein biblischer Inhalt wird in der Ich-Form aus der Sicht einer mitwirkenden Person erzählt. Das Kind wird verlockt, eine bestimmte Sichtweise bzw. Rolle in dem Geschehen einzunehmen und bekommt eine neue Dimension dadurch aufgeschlossen. Auch die Erzählung aus Sicht der Kinder ist ein geeignetes Mittel, um Identifikation zu schaffen und den Text in Beziehung zu den Kindern zu bringen.

Erzählung mit Rahmengeschichte
Eine biblische Erzählung wird in einen Kontext eingebettet, der es den Kindern verdeutlicht, unter welchen inneren und äußeren Bedingungen und Beziehungen von diesem Geschehen erzählt wird.

Erzählung mit Gesten und Geräuschen (Rollenspiel)
Gesten und mimische Vorgänge, Körperbewegungen und Geräusche werden in die Erzählung mit eingebunden, von Kindern entwickelt und eingebracht. Dies fördert die Lebendigkeit.

Erzählen mit Puppen und Material

Kinder reagieren auf Puppen etc. meist sehr unbefangen und können über das Gespräch mit diesen unmittelbar in Beziehung zu dem Geschehen treten. Mit Material kann eine Geschichte von den Kindern interpretierend als Bodenbild gestaltet werden.

Literatur u. a.:
Puzberg, Günter: Bibelgeschichten anders erzählt, Patmos Verlag 2005 Ders.: Kreative Ideen zur Bibel (Gleichnisse + Bildworte), Patmos Verlag 2007