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Lesen und Schreiben verbinden

In Schreibschrift übereinander liegende Blätter

Lesen und Schreiben wurden seitens der Deutschdidaktik lange Zeit als zwei getrennte Bereiche betrachtet. Mit der Einführung des materialgestützten Schreibens hat sich diese Perspektive geändert und die enge Verbindung von Lesen und Schreiben steht im Fokus der fachdidaktischen Forschung.

Betrachtet man nun durch diese Brille die in den Kernlehrplänen Deutsch für die Sekundarstufe I festgelegten Aufgabentypen, wird deutlich, dass auch hier Lesen und Schreiben eng miteinander verbunden sind. Die folgende tabellarische Übersicht soll dies verdeutlichen. Wenn Voraussetzung für das Schreiben das Lesen eines oder mehrerer Texte ist, dann sind die entsprechenden Formulierungen fett markiert:

Erzählendes Schreiben

Typ / Benennung

1 / Erzählendes Schreiben

Spezifizierung

  • von Erlebtem, Erdachtem erzählen
  • auf der Basis von Materialien oder Mustern erzählen

Informierendes Schreiben

Typ / Benennung

2 / Informierendes Schreiben

Spezifizierung

  • in einem funktionalen Zusammenhang sachlich berichten und beschreiben
  • auf der Basis von Materialien (ggf. einschließlich Materialauswahl und -sichtung) einen informativen Text verfassen

Argumentierendes Schreiben

Typ / Benennung

3 / Argumentierendes Schreiben

Spezifizierung

  • begründet Stellung nehmen
  • eine (ggf. auch textbasierte) Argumentation zu einem Sachverhalt verfassen (ggf. unter Einbeziehung anderer Texte)

Analysierendes Schreiben

Typ / Benennung

4 / Analysierendes Schreiben

Spezifizierung

  • einen Sachtext, medialen Text oder literarischen Text analysieren und interpretieren
  • durch Fragen bzw. Aufgaben geleitet aus kontinuierlichen und/oder diskontinuierlichen Texten Informationen ermitteln und ggf. vergleichen, Textaussagen deuten und ggf. abschließend bewerten

Überarbeitendes Schreiben

Typ / Benennung

5 / Überarbeitendes Schreiben

Spezifizierung

  • einen Text überarbeiten und ggf. die vorgenommenen Textänderungen begründen

Typ

Benennung

Spezifizierung

1

Erzählendes Schreiben

  • von Erlebtem, Erdachtem erzählen
  • auf der Basis von Materialien oder Mustern erzählen

2

Informierendes Schreiben

  • in einem funktionalen Zusammenhang sachlich berichten und beschreiben
  • auf der Basis von Materialien (ggf. einschließlich Materialauswahl und -sichtung) einen informativen Text verfassen

3

Argumentierendes Schreiben

  • begründet Stellung nehmen
  • eine (ggf. auch textbasierte) Argumentation zu einem Sachverhalt verfassen (ggf. unter Einbeziehung anderer Texte)

4

Analysierendes Schreiben

  • einen Sachtext, medialen Text oder literarischen Text analysieren und interpretieren
  • durch Fragen bzw. Aufgaben geleitet aus kontinuierlichen und/oder diskontinuierlichen Texten Informationen ermitteln und ggf. vergleichen, Textaussagen deuten und ggf. abschließend bewerten

5

Überarbeitendes Schreiben

  • einen Text überarbeiten und ggf. die vorgenommenen Textänderungen begründen

So wird deutlich, dass alle Aufgabentypen der Kernlehrpläne Deutsch für die Sekundarstufe I Lesen und Schreiben verbinden. Um Schülerinnen und Schüler beim Schreiben zu unterstützen, kann es daher auch sinnvoll sein, vor der eigentlichen Schreibaufgabe Leseaufgaben zu stellen, um so das Textverständnis zu sichern.

Das Lesen eines einzelnen Textes ist bei klassischen Schreibaufgaben wie der Analyse eines literarischen Textes Voraussetzung. Mit der Einführung der Kernlehrpläne Deutsch für die Sekundarstufe I im Jahr 2004 wurde mit dem Aufgabentyp 2 das materialgestützte informierende Schreiben implementiert. Dieses Aufgabenformat umfasst das Lesen mehrerer (kontinuierlicher wie diskontinuierlicher) Texte, auf deren Grundlage dann ein eigener Text verfasst werden soll. Mehrere Texte parallel zu lesen wird auch als polytextuelles Lesen bezeichnet (Köster/Pabst 2017, S. 16). Diese Art des Lesens weist große Ähnlichkeiten zum digitalen Lesen auf. Anders als beim Lesen eines einzelnen Textes stehen Lesende beim polytextuellen Lesen vor der Herausforderung, die Kohärenz zwischen den Texten selbst herzustellen, Verbindungen zu finden und die Bedeutung der einzelnen Texte in ihrem Verbund einzuschätzen. Die Kognitionspsychologie untersucht seit Ende der 1990er-Jahre das polytextuelle Lesen. Das Dokumentenmodell ist eines der ersten und ein prominentes Modell, das die idealtypischen Prozesse beim Lesen von mehreren Texten (Dokumenten) abbildet. Wichtig ist allerdings zu betonen, dass sich das Modell auf das Lesen von kontinuierlichen Texten bezieht.

Abbildung Dokumentenmodell

(Philipp 2019. S. 3. leicht verändert)

Das Dokumentenmodell besteht aus zwei Ebenen. Auf der ersten Ebene entwickeln Lesende ein integriertes mentales Modell aus den Inhalten der Texte. Integrieren bedeutet, dass die Informationen aus den Texten verknüpft, kombiniert und organisiert werden, um Kohärenz zwischen ihnen herzustellen. Voraussetzung dafür ist, dass der Leser oder die Leserin jeden Text für sich verstanden hat. Man braucht also mentale Modelle des Inhalts jedes Textes, um inhaltliche Bezüge und Schnittmengen im integrierten mentalen Modell, das beide Texte umfasst, zu erkennen. Auf der zweiten Ebene bilden Lesende ein Intertextmodell, das auf den Dokumentenknoten basiert. Die Dokumentenknoten umfassen die Metadaten eines Textes wie Autor und dessen Status, Erscheinungsjahr, Veröffentlichungsort, Textsorte, Intention, Adressaten etc. Durch den Vergleich dieser Metadaten und den gleichzeitigen Einbezug der Textinhalte wird die Beziehung der Texte zueinander bestimmt, d.h. widersprechen sich die Texte, ergänzen sie sich, bauen sie aufeinander auf, Text A zitiert Text B, Text A erklärt Text B genauer etc. Dies wird als Intertext-Prädikat bezeichnet. Beim Lesen mehrerer Texte sind also nicht nur die Textinhalte von Bedeutung, sondern auch Informationen über den Kontext des Textes, der ebenfalls von Lesenden rekonstruiert werden muss, um die Informationen aus den Texten mithilfe der Metadaten angemessen interpretieren und beurteilen zu können. Die Prozesse werden unter dem Begriff „Sourcing“ zusammengefasst (Philipp 2018, S. 4). Das Ausbilden eines Dokumentenmodells, das mehrere Texte umfasst, stellt daher eine sehr abstrakte Aufgabe für Lernende dar, die durch die Lehrkraft (auch außerhalb des Aufgabenformats) unterstützt werden kann, indem

  • möglichst umfassende Metadaten zu den jeweiligen Texten gegeben werden,
  • der Geltungsanspruch eines Textes erläutert wird,
  • die Funktion eines Materials innerhalb der Materialsammlung explizit benannt wird.

Aufgabenbeispiele, wie materialgestützt literarisches Wissen erarbeitet werden kann (PDF, 861KB)

Die Aufgaben beziehen sich auf literarische Texte für die SII. Ihr Konstruktionsprinzip lässt sich aber auf die SI übertragen.

Becker-Mrotzek, Michael/Behrens, Ulrike (2014) Schreiben. In: Behrens, Ulrike/Bremerich-Vos, Albert/Krelle, Michael/Böhme, Katrin/Hunger, Susanne (Hrsg.): Bildungsstandards Deutsch: konkret. Sekundarstufe I: Aufgabenbeispiele, Unterrichtsanregungen, Fortbildungsideen. Berlin: Cornelsen Scriptor, S. 46-85.

Köster, Juliane/Pabst, Stephan: Format mit doppelter Botschaft: Materialgestütztes schreiben in der Sekundarstufe II. In: Didaktik Deutsch, H. 43/2017, S. 12–18.

Molitor-Lübbert, Sylvie (1996): Schreiben als mentaler und kognitiver Prozeß. In: Günther, Hartmut/Ludwig, Otto (Hrsg.): Schrift und Schriftlichkeit. Berlin: de Gruyter, 1005-1027.

Philipp, Maik: Multiple Modelle des Leseverstehens multipler Texte. Eine Synopse aktueller kognitiver Modellierungen aus lesedidaktischer Perspektive. Leseforum H. 3/2018, S. 2–24.

Philipp, Maik: Multiple Wege führen nach Rom. Ergebnisse einer quantitativen Sekundäranalyse effektiver Fördermaßnahmen zur Verbesserung der Sourcing- und Integrationsprozesse in der Nutzung multipler Texte. Leseforum H. 1/2019, S. 2–27.

Sturm, Afra/Weder, Mirjam (2016): Schreibkompetenz, Schreibmotivation, Schreibförderung. Grundlagen und Modelle zum Schreiben als soziale Praxis. Seelze: Kallmeyer.

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